Die Geschichte des Lambertus-Verlags
Von der "Charitasdruckerei" zum Lambertus-Verlag. Eine ungewöhnliche Verlagsgeschichte
Die hier dargestellte Verlagsgeschichte enstand unter Hinzuziehung des vom Historiker Andreas Wollasch maßgeblich recherchierten Beitrags "Von der Charitasdruckerei" zum Lambertus-Verlag. Eine ungewöhnliche Verlagsgeschichte", in: Peter Neher, Ingeborg Feige, Andreas Wollasch, Hans-Josef Wollasch (2008): Lorenz Werthmann. Caritasmacher und Visionär, Freiburg: Lambertus-Verlag.
Die abgebildeten historischen Fotografien stammen aus dem Archiv des Deutschen Caritasverbands e.V.
Die Gründerjahre
Lorenz Werthmann - der Verlagsgründer
Die allerersten Anfänge des späteren Lambertus-Verlages fallen in den gleichen Monat wie die Gründung des Deutschen Caritasverbandes (DCV) – nämlich in den November 1897. Dies war nicht ganz zufällig. Kurze Zeit später, auf der Generalversammlung der deutschen Katholiken in Neiße im Sommer 1899, lieferte DCV-Präsident Lorenz Werthmann dafür eine Begründung: „Damit nun die hohen Ziele der christlichen Charitas besser erreicht und die Charitasjünger für ihre Aufgabe mehr befähigt werden könnten, wurde durch die Charitasbewegung die Parole ausgegeben: Es müsse unsere Charitas mehr publiziert, mehr studiert und mehr organisiert werden.“ Publizieren, studieren, organisieren – jeder dieser drei Leitbegriffe hat mit Büchern, Buchproduktion und Buchvertrieb zu tun. Bei den beiden ersten Begriffen ist dies offensichtlich, lediglich beim dritten erscheint es erklärungsbedürftig: Hier sollten eigene Druckwerke auf die noch in den Kinderschuhen steckende Organisation des frisch gegründeten DCV hinweisen, seine Ausdehnung und Ausdifferenzierung sachkundig begleiten und sobald als möglich auch bilanzieren.
Bezeichnenderweise entschlossen sich Werthmann und das die Gründung des Verbandes vorbereitende „Charitas-Comité“ schon 1895/96, also deutlich vor der Verbandsgründung, zur Herausgabe einer eigenen Zeitschrift, die für den Caritasgedanken werben und der Verbandsgründung den Boden bereiten sollte. „Charitas. Zeitschrift für die Werke der Nächstenliebe im katholischen Deutschland“ lautete anfangs im damaligen Zeitkolorit der Titel. Diese wichtigste Zeitschrift des DCV erscheint bis heute im 109. Jahrgang als „neue caritas. Politik - Praxis – Forschung“. Die beiden ersten Jahrgänge wurden noch vom Freiburger Herder-Verlag herausgebracht, ehe Herder und Werthmann 1897 übereinkamen, dass das Caritas-Komitee (und später der Caritasverband) die Zeitschrift fortan im Selbstverlag herausbringen sollte. Werthmann fasste den Entschluss, den geplanten Verlag mit einer Druckerei zu verbinden, weil er auf diesem Weg hoffte, durch wirtschaftlich erfolgreiches Arbeiten auch eine gewisse Refinanzierung der Verbandsaufgaben erreichen zu können.
Am 1. Oktober 1897 begann zunächst die „Charitasdruckerei“ mit der Arbeit – und zwar in sehr überschaubaren Dimensionen: mit vier Mitarbeitern und zwei gebrauchten Druckmaschinen. Werthmann hatte die Einrichtung aus eigenen Mitteln finanziert! Die Druckerei wurde als Privatunternehmen geführt und erhielt mit der „Charitas Stift GmbH“ bald einen eigenen, eng mit dem DCV verbundenen Rechtsträger. Ab dem Jahr 1898 ist der „Verlag des Charitasverbandes für das katholische Deutschland“ oder kurz „Caritasverlag“, wie er später genannt wurde, nachgewiesen. In Personalunion fungierte Werthmanns Vetter Johann Vollmer als erster Leiter von Druckerei und Verlag, wobei Werthmann selbst in den Anfangsjahren jenseits aller Satzungsbestimmungen starken Einfluss auf das Verlagsprogramm nahm: Nahezu im Alleingang entschied er viele redaktionelle Fragen, schrieb wichtige programmatische Artikel für die Zeitschrift „Caritas“ und legte auch Einzelpublikationen des jungen Verlages fest.
Schon in den ersten Jahren lässt sich das Verlagsprogramm als Spiegel der beginnenden wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung in Deutschland lesen – und daneben entsprach es natürlich immer auch den Interessen der sich immer mehr auffächernden und Konturen gewinnenden Organisation des DCV. Beide Blickwinkel fokussierten in der Zeitschrift „Caritas“, der schon bald (1902) ein eigenes Organ für katholische Frauen an die Seite trat: „Die christliche Frau. Zeitschrift für höhere weibliche Bildung und christliche Frauenthätigkeit in Familie und Gesellschaft“. 1907 erschien erstmals ein „Jahrbuch des Charitasverbandes“. Die Buchpublikationen reflektierten in diesen Anfangsjahren rechtliche Aspekte der deutschen Sozialgesetzgebung – etwa das damals gültige Armenrecht -, aber auch die sich herausbildenden Arbeitsschwerpunkte des DCV, zu denen von Beginn an die Kinder- und Jugendfürsorge zählte, sowie die Belange seiner Fachverbände und Unterorganisationen. Daneben wurden Gebetsbücher, Pilgerführer und volkstümliche Literatur in teilweise hohen Auflagen vertrieben – konzipiert als frühe „Bestseller“, die das Gesamtprogramm der herstellungsintensiven und oft in geringer Auflagenstärke produzierten caritativen Spezialliteratur ökonomisch tragen sollten. Beide Veröffentlichungszweige zusammen ergaben ein Verlagskonzept, welches ein leitender DCV-Mitarbeiter in den 1920er Jahren prägnant auf den Punkt gebracht hat: „eine Propagandaabteilung des DCV, geführt nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten“.
Schwarze und rote Zahlen - Verlegen und Verkaufen
Die Zeit bis zum I. Weltkrieg
Das Verlagskonzept war durchdacht; seine Umsetzung gelang für viele Jahre jedoch nur ansatzweise. Tatsächlich hatten Druckerei und Verlag von Anfang an mit Zahlungsschwierigkeiten zu kämpfen. Viele der als Zugpferde gedachten Titel - insbesondere die volkstümlichen – dümpelten im Absatz. Hinzu kamen ein naturgemäß hoher Investitionsbedarf in den Anfangsjahren und später hohe Abschreibungen infolge vorangegangener Buchführungsfehler und Fehlkalkulationen. Vor allem aber gab es strukturelle Probleme. Der DCV als Hauptauftraggeber war daran interessiert, dass seine Caritasliteratur weit verbreitet und gelesen wurde. Daher mussten Verkaufspreise und Abonnement-Preise für die Zeitschriften moderat angesetzt werden. Werbeaktionen, bei denen die Zeitschrift „Caritas“ in zahlreichen Exemplaren kostenlos gestreut wurde, belasteten die Ausgabenseite zusätzlich. Ab 1925 wurde daher festgelegt, dass der Verband für Publikationen in seinem eigenen Interesse einen Zuschuss zu leisten hatte. Darüber hinaus wurde der Caritasverlag ohnehin regelmäßig aus Verbandsgeldern direkt und indirekt subventioniert.
1903 eröffnete der Verlag zum ersten Mal eine Buchhandlung – zunächst als Versand-, ab 1910 sogar als Vollbuchhandlung geführt. Hier sollten neben den eigenen Büchern auch Werke anderer Verlage verkauft werden. Was als gewinnorientiertes Unternehmen gedacht war, endete nach ernüchternden Erfahrungen in der Praxis bereits 1917 unter den zugegebenermaßen erschwerten Bedingungen des Ersten Weltkrieges mit der Auflösung des Buchladens.
Der Verlag litt noch lange unter dem hier aufgehäuften Schuldenberg. Ein zweiter Versuch in den 1950er Jahren mit einer eigenen Lambertus-Buchhandlung und einer Leihbücherei vor allem für Kinder und Theologiestudenten war zwar wesentlich besser vorbereitet, musste aber 1968 ebenfalls aufgegeben werden. Erfolgreich an beide Unternehmungen anknüpfen konnte jedoch die bis heute bestehende „Freiburger Bücherdienst GmbH“, die sich allerdings nach den bisher gemachten Erfahrungen ausschließlich auf den Versandbuchhandel beschränkt.
Gegen Ende des Ersten Weltkrieges drohte für einige Monate sogar die vollständige Verlagsauflösung („dauernde Verlustquellen“). Dem entschiedenen Veto Werthmanns war es zu verdanken, dass dieser Plan nicht in die Tat umgesetzt werden sollte – eine, wie die Zukunft zeigte, durchaus hellsichtige Entscheidung. Die Caritasdruckerei ließ sich hingegen auf Dauer nicht im Verband halten. Sie wurde ausgegliedert und schloss einen Fusionsvertrag mit der Freiburger Großdruckerei „C. A. Wagner Aktiengesellschaft“ (Cawag). In den prosperierenden Mitteljahren der Weimarer Republik, die auch einen Höhepunkt der Verlagsproduktion ermöglichten, vollzogen DCV und Caritasverlag eine wichtige Weichenstellung für die Zukunft: Der Verlag wurde rechtlich selbständig mit dem Ziel, seine wirtschaftliche wie konzeptionelle Bewegungsfreiheit zu vergrößern. Die Zeitschrift „Caritas“ vermerkte dazu: „Der Caritasverlag, der innerhalb der letzten Jahre einen erfreulichen Aufschwung genommen hat, wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1925 an zu einer selbständigen G. m. b. H. ausgestaltet.“ Damit verbunden war die Installation eines Aufsichtsrates für den Verlag – eine Konstruktion, die allerdings nur wenige Jahre Bestand hatte. Der DCV behielt gleichwohl seinen Einfluss auf Verlagsentwicklung und Geschäftsgang, indem er zu dessen Hauptgesellschafter wurde! Der Name Lambertus-Verlag kam übrigens erst im Zuge verschiedener struktureller Neuordnungsprozesse in den unmittelbaren Nachkriegsjahren auf: Der neue und bis heute gültige Name, der auf den Hl. Lambertus als einen der Schutzpatrone der Stadt Freiburg verweist, wurde dabei nicht von oben verordnet, sondern war 1951 das Ergebnis eines Wettbewerbs unter den Mitarbeiter(inne)n.
Das Verlagsprogramm als Spiegel wohlfahrtsstaatlicher Entwicklungen
Die Zeit zwischen den Weltkriegen
Es liegt auf der Hand, dass die Publikationen des Caritasverlages zunächst einmal immer den organisatorischen und sozialpolitischen Interessen des DCV dienten. Wie die Publikationen anderer verbandlicher, politischer, gewerkschaftlicher oder sonstiger Akteure des gesellschaftlichen Lebens sollten sie für die eigene Organisation werben, über ihre (sozial-)politischen Positionen informieren, Schulungsmaterialien für die Mitarbeiterschaft bereitstellen und nicht zuletzt auch durch die Erforschung der eigenen Vergangenheit historische Selbstvergewisserung betreiben. So brachte der Verlag zum silbernen Verbandsjubiläum 1922 eine zweibändige Geschichte der Caritas heraus, verfasst vom damaligen „Verbandshistoriographen“ und Schriftleiter der Caritas Wilhelm Liese – ein in den wirtschaftlich schwierigen und schon vom Beginn der Inflation gekennzeichneten Anfangsjahren der Weimarer Republik durchaus mutiges Unterfangen! Dieses Werk spannte als Tour d’horizon den Bogen vom Urchristentum bis ins 20. Jahrhundert, war also nicht auf den DCV als Wohlfahrtsverband fixiert.
Demgegenüber fokussierte eine voluminöse Abhandlung des gleichen Autors von 1929 mit dem Titel „Lorenz Werthmann und der deutsche Caritasverband“, die dem 1921 verstorbenen Gründungspräsidenten des DCV ein Denkmal setzen wollte, stark und überaus detailliert auf die Geschichte des noch jungen Verbandes. Wegen ihrer Materialfülle bleibt diese Darstellung trotz mancher Ungenauigkeiten und methodischer Probleme auch heute noch wichtig.
Wie oben schon angedeutet, lässt sich das Programm des Caritas- und später Lambertus-Verlages immer auch als Spiegel wohlfahrtsstaatlicher Entwicklungen lesen. Dies gilt besonders augenfällig für den ersten deutschen Sozialstaat, die Weimarer Republik. Ausgehend von den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges, bildeten sich die rechtlichen Grundlagen des Weimarer Wohlfahrtsstaates in den wenigen Jahren bis 1924 heraus, während die Folgezeit mehr von der Umsetzung der neuen rechtlichen und administrativen Vorgaben in die soziale Praxis geprägt war.
Der Caritasverlag profitierte zunächst direkt vom enormen Bedarf des Staates nach modernen Sozialgesetzen auf der einen und der unter Präsident Benedict Kreutz höchst aktiven Rolle des DCV bei den jeweiligen Gesetzesberatungen auf der anderen Seite. Mit vielen Denkschriften und Einzelpublikationen aus dem Caritasverlag bezog der DCV in diesen Jahren ausführlich Stellung zu praktisch allen bedeutenden Gesetzesvorhaben in Wohlfahrtspflege und Sozialpolitik – etwa zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz, dem Jugendgerichtsgesetz, der Reichsverordnung über die Fürsorgepflicht, der Reform des Unehelichenrechts, wie es damals noch hieß, oder dem Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches. Während gerade die Denkschriften teilweise sehr einfach aufgemacht waren und eher wie „graue“ Literatur wirkten, erschienen die Kommentare und Abhandlungen in teilweise eigens vom Verlag konzipierten Reihen und beförderten inhaltlich die Entwicklung zu einer stärkeren Verwissenschaftlichung der Caritas. Dies galt z.B. für die „Schriften zur Jugendwohlfahrt“, die seit 1923 erschienen und vom Verlag charakterisiert wurden als „vertiefte eingehende Einführungen in die Probleme der Jugendwohlfahrt vom Standpunkte der Caritas“.
Nach 1924 verlagerte sich der Schwerpunkt der Verlagspublikationen analog zur Entwicklung in (Sozial-)Staat und Gesellschaft hin zu praxisorientierten Handreichungen – die neuen Gesetze mussten mit Leben gefüllt und erklärt werden. Eine Kleinpublikation von 1926 mit dem Titel „Führer für Vormünder, Pfleger, Beistände und Helfer“ zeigt exemplarisch und schlaglichtartig die konkreten Bedürfnisse der fachlich interessierten Leser(innen) in den Mitteljahren der Weimarer Republik.
Die NS-Zeit
In den Jahren des „Dritten Reiches“ setzte die NS-Diktatur mit ihren Ge- und Verboten sowie manchen Gängelungen im Kleinen den Rahmen. Die Position des Caritasverlages ließ sich dabei auf keinen einheitlichen Nenner bringen. Inhaltlich verlagerte sich der Schwerpunkt der Veröffentlichungen weg von der Sozialpolitik (bei der die Nazis mit Deutscher Arbeitsfront und NS-Volkswohlfahrt einen Alleinvertretungsanspruch erhoben) und hin zu theologisch-berufsethischen und biographischen Themen („geistige Caritas“). Allerdings gab es auch Titel wie „Am Brunnquell neuer Geschlechter“ von Johann Baptist Dieing - eine mehrfach wiederaufgelegte Aufsatzsammlung zur Erbgesundheitspflege. Dieing leitete das Referat Dorfcaritas beim DCV und zählte zu denjenigen katholischen Eugenikern, die zu großen Zugeständnissen gegenüber der NS-Ideologie bereit waren und offen von der „Eindämmung der Unterwertigen als eine[r] der wichtigsten Aufgaben für den Aufbau des Volkes der Zukunft“ sprachen.
Auf der anderen Seite setzte der Verlag aber auch deutliche Zeichen der Nonkonformität und inneren Verweigerung gegenüber der NS-Ideologie. So erhielt die Zeitschrift „Caritas“ bereits im Sommer 1933 eine politische Verwarnung, weil sie unter der Überschrift „Etwas von der Liebe“ einen regimekritischen Artikel abgedruckt hatte, welcher die Nächstenliebe für unteilbar erklärte und dabei auch die Kommunisten in den Konzentrationslagern (!) und die Juden einschloss. Und ab 1941, als zunächst die Zeitschrift „Caritas“ ihr Erscheinen einstellen musste und die gesamte Verlagsarbeit wegen ausbleibender Papierzuteilungen bis 1943 weitgehend zum Erliegen kam, bahnte sich eine Zusammenarbeit an, die durchaus Züge von Widerstand gegen den NS-Staat hatte: In diesen letzten Kriegsjahren baute der Caritasverlag eine enge Kooperation mit dem antinazistischen Alsatia-Verlag in Colmar auf. Neben eigenen Verlagsprojekten vermittelte das Lektorat in Freiburg auch den katholischen Schriftsteller Reinhold Schneider dorthin, der seit seinem bekannten, auf Hitler gemünzten Sonett „Der Antichrist“ (1938) zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus zählte.
Von den 1940er Jahren bis zum Jahrtausendwechsel
Der Neubeginn der Verlagsarbeit 1946 in der französischen Besatzungszone war dornig. Unter dem Diktat von Papierrationierungen betrieb der Verlag zunächst eine Wiederauflage alter Titel. Ab Mitte 1946 konnte auch die Zeitschrift „Caritas“ wieder erscheinen; einige Jahre später auch die Caritas-Korrespondenz, welche sich bald zu einem wichtigen Vorläufer der Loseblatt-Sammlungen (Gesetzestexte, tarifrechtliche Richtlinien) des Lambertus-Verlages seit den 1960er Jahren entwickelte. Schon ab 1952, möglicherweise sogar bereits 1949 erschienen im Lambertus-Verlag die von der Arbeitsrechtlichen Kommission des DCV beschlossenen Arbeitsvertragsrichtlinien. Den Anfang machten dabei Richtlinien über Arbeitsverträge in den Anstalten der Erziehungs- und Wirtschaftsfürsorge sowie der Gesundheitsfürsorge des DCV, in den Einrichtungen der offenen und halboffenen Fürsorge des Verbandes sowie flankierend eine allgemeine Textsammlung arbeitsrechlicher Gesetze (Kündigungsschutzgesetz von 1951 und Mutterschutzgesetz von 1952).
Unmittelbar nach Kriegsende ging es aber noch weniger um sozialpolitische und fürsorgerische Inhalte, sondern vor dem Hintergrund der frisch vergangenen NS-Diktatur um grundsätzliche religiöse und theologische Selbstvergewisserung. So bezeichnete DCV-Präsident Kreutz 1946 in der ersten Nummer der „Caritas“ im Nachkriegsdeutschland die christliche Caritas als „Mitte der Heilsverkündigung“ und als „sicherste[n] Baugrund zur Wiederherstellung der Persönlichkeit, zur Erneuerung des zerstörten Menschenbildes.“
In dieser Linie einer Rückbesinnung auf die Theologie der Caritas lag auch ein erster Publikationsschwerpunkt des Lambertus-Verlages in den 1950er Jahren – pädagogische Literatur aus christlicher Sicht. Gleichzeitig wurde mit dieser Produktlinie aber – was leicht übersehen werden kann – der Wandel zum Fachverlag eingeläutet: Hier wie anderswo im Nachkriegsdeutschland fanden die katholischen Experten über eine theologisch verankerte Pädagogik, über Psychologie und Erziehungsberatung zu moderner Fachlichkeit.
In den 1960er Jahren weitete sich das Spektrum der Fachliteratur; der Lambertus-Verlag wandte sich verstärkt wichtigen Teilbereichen sozialer Arbeit zu – der Sozialarbeit, der Sozialpädagogik und der Methodenlehre. Politik, Alltagskultur und Sprache standen damals in Deutschland unter amerikanischen Einflüssen, und auch das Verlagswesen machte hier keine Ausnahme. Der Lambertus-Verlag bewegte sich also durchaus im Trend, wenn er die soziale Einzelfallhilfe (casework), Gruppenarbeit (group work) und Gemeinwesenarbeit als Themen für seine Publikationen entdeckte, und das Gewicht angloamerikanischer Autorinnen und Autoren in diesem Diskurs wird dadurch deutlich, dass viele der Neuerscheinungen dieser und auch noch späterer Jahre Übersetzungen ihrer Werke ins Deutsche waren. Allerdings wurde diese Entwicklung gesellschaftlich auf Autorenseite auch von nach Deutschland zurückgekehrten Emigrant(inne)n getragen, und man sollte daher nicht nur einseitig von einem Methodenimport aus den USA sprechen, sondern darin immer auch die Traditionslinie einer an die Diskussionen der Weimarer Republik anschließenden Methodenrekonstruktion sehen!
Mit dieser neuen Verlagsausrichtung wurden zugleich bewusst konfessionelle Grenzen überschritten. Einerseits suchte der Verlag jetzt verstärkt die Zusammenarbeit mit dem Diakonischen Werk der EKD, zum andern verzichteten viele seiner praxisbezogenen Bücher zu Einzelfeldern der sozialen Hilfe auch ganz auf religiöse Bezüge – eine verlegerische Entscheidung, die zumindest im zweiten Fall durchaus konfliktorisch war und immer wieder für Zündstoff zwischen DCV und Verlag sorgte.
Das sich ausdifferenzierende und intensivierte soziale Hilfehandeln zu Beginn der 1970er Jahre – der bislang letzten Hochzeit des deutschen Sozialstaats – fand einen deutlichen Niederschlag in der Produktpalette des Lambertus-Verlages: Weitere Einzelfelder der sozialen Arbeit wie Heilpädagogik, Sucht- oder Altenhilfe wurden berücksichtigt, und auch soziologische Studien wurden nun verstärkt verlegt.
Die letzten 30 Jahre
Seit Mitte der 1980er Jahre erweiterte der Verlag unter der Geschäftsführung von Fritz Boll das Themenspektrum in Richtung auf die Vorschulerziehung und die Krankenpflege. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln wurde nun auch die Positionsbestimmung der freien Wohlfahrtspflege diskutiert und neu ausgelotet – Zeichen für ein gewandeltes Verständnis des Sozialstaates, in welchen zusätzlich zu den etablierten öffentlichen und freien Trägern verstärkt gewerbliche Anbieter von sozialen Hilfeleistungen hineindrängten und dazu beitrugen, dass das über viele Jahrzehnte dominierende Subsidiaritätsprinzip erst in Frage gestellt und dann aufgeweicht wurde. Exemplarisch für diese Debatte stehen Titel aus dem Verlagsprogramm wie die soziologische Studie von Heinze / Olk / Hilbert, Der neue Sozialstaat. Analyse und Reformperspektiven von 1988, aber auch der aus dem Blickwinkel der Wohlfahrtsverbände geschriebene Beitrag „Die freie Wohlfahrtspflege – Profil und Leistungen“ von 2002. Boll belebte auch den Zweig sozial- und caritasgeschichtlicher Veröffentlichungen neu und griff dabei immer wieder bislang unbeachtete oder unbequeme Themen auf - die Geschichte des Kindergartens, den Alltag in der Psychiatrie oder die nationalsozialistische "Euthanasie" an Menschen mit Behinderungen und psychischer Erkrankung.
Gegenwärtig hat das Programm des Lambertus-Verlages drei Säulen: Soziales, Recht und Caritas. Insbesondere in den Bereichen der sozialen Fachbücher, der Bücher zum Sozialrecht und der Texte und Kommentare zum kirchlichen Arbeitsrecht - wie etwa der AVR, dem Freiburger Kommentar zur MAVO (inkl. KAGO) und dem Praxiskommentar zum Arbeitsrecht in der Caritas - zählt der Lambertus Verlag zu den renommierten deutschen Verlagen.
Zusätzlich besorgt der Verlag seit 2007 Vertrieb und Auslieferung der Titel des Verlags des „Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge“ an Nichtmitglieder und den Buchhandel. Seit Anfang 2012 auch an die Mitglieder selbst. Damit werden Entwicklungen der Vergangenheit gebündelt und neu gewichtet. Die Publikationen im Feld aller sozialer Aufgabenfelder und zu den komplexen rechtlichen Rahmenbedingungen sowie zur Caritasarbeit können sich durchaus auf die Grundideen des Verlagsgründers Werthmann berufen, der bereits 1903 feststellte: „Also nicht zu einem trockenen, von der Praxis weggewandten Studium will der Charitasverband antreiben, nein, so sehr hat er beim Studium die praktische Tätigkeit im Auge, dass er in Wort und Schrift, in seinen Versammlungen und Publikationen immer und immer wieder zur praktischen Ausübung der Charitas ermuntert.“